28. Mai bis 29. August 2021

Invisible Inventories

Zur Kritik kenianischer Sammlungen in westlichen Museen

Unzählige Kenianer*innen verloren ihr Leben bei dem Versuch, sich während der fast 70-jährigen britischen Kolonialherrschaft (1895 bis 1963) der kolonialen Unterdrückung zu widersetzen. Gleichzeitig wurden Tausende von historischen kenianischen Kultur- und Kunstobjekten aus dem Land gebracht, um an Museen und Privatsammler*innen in ganz Europa und den USA verkauft zu werden.

Zehntausende historischer kenianischer Objekte sind seitdem Teil europäischer und nordamerikanischer Museumssammlungen geworden. Was bedeutet ihre Abwesenheit für Kenia? Und was bedeutet ihre Anwesenheit für diese Museen?

Antworten auf diese Fragen sucht seit 2018 das „International Inventories Programme" (IIP), ein internationales Forschungs- und Datenbankprojekt des Goethe-Instituts, das zunächst die historischen kenianischen kulturellen Objekten identifizierte, die sich in kulturellen Institutionen auf der ganzen Welt befinden. Von Künstler*innen initiiert hat IIP eine Konstellation von Künstlerkollektiven und Museen aus Kenia, Frankreich und Deutschland zusammengebracht und ist bestrebt, afrikanische Perspektiven auf Restitution zu verbreiten, die im internationalen Diskurs selten vertreten sind. Entstanden ist eine intensive interdisziplinäre Kollaboration zwischen dem kenianischen Nationalmuseum in Nairobi, dem Rautenstrauch-Joest-Museum in Köln, dem Weltkulturen Museum in Frankfurt a.M. sowie den beiden  Künstler*innenkollektiven „The Nest" und „SHIFT" und weiteren Partner*innen.

Als wichtigstes Werkzeug ist aus der Zusammenarbeit eine Datenbanken entstanden, die aktuell 32.501 historische kulturelle kenianische Objekte aus dreißig Institutionen weltweit beinhaltet, mehrere Publikationen sowie die gemeinsame internationale Ausstellung „Invisible Inventories: Zur Kritik kenianischer Sammlungen in westlichen Museen“.

Unter der kollektiven künstlerischen Leitung des Teams des IIP wird die Ausstellung 2021 an den drei Standorten in variierenden Ausführungen gezeigt:  Vom 18. März – 30. Mai 2021 im Nationalmuseum Kenia in Nairobi, vom 28. Mai – 29. August 2021 im Rautenstrauch-Joest-Museum in Köln und ab dem 6. Oktober 2021 im Weltkulturen Museum in Frankfurt a.M.

Die Ausstellung versammelt die Ergebnisse der gemeinsamen zweijährigen wissenschaftlich- künstlerischen Forschung zur Abwesenheit und dem Vermissen historischer kultureller kenianischer Objekte, die sich außerhalb Kenias befinden: durch Kunst, Aktivismus und wissenschaftliche Untersuchungen und die kenianischen kulturellen Objekte selbst. „Invisible Inventories: Zur Kritik kenianischer Sammlungen in westlichen Museen“ ist der Versuch, sich mit der Asymmetrie der gemeinsamen Geschichte und  schmerzhaften Beziehung, die ihr zugrunde liegt, auseinanderzusetzen. Die Ausstellung schöpft aus den vielfältigen Erfahrungen der Teilnehmer*innen des Projekts und versucht, sich der geteilten Geschichte gemeinsam zu nähern.

In der Ausstellungsumsetzung in Nairobi fehlen die kenianischen Objekte der Kölner Sammlung. Für ihre Abwesenheit stehen dort inszenierte leere Vitrinen. In Köln präsentiert das Kurator*innen-Team des IIP die gesamte kenianische Sammlung von 82 Objekten, die das RJM zwischen 1905 und 2006 erworben hat und von denen bis auf wenige Ausnahmen die meisten noch nie ausgestellt waren. Die Inszenierung spielt dabei auf die Präsentation der Objekte anlässlich des Besuchs des IIP-Teams im Jahr 2019 im Museumsdepot an und macht so die bisher unsichtbaren Inventare sichtbar. Für einige dieser  Objekte haben Wissenschaftler*innen aus Nairobi erstmals gemeinschaftlich umfassende Objektbiografien erarbeitet, die deutlich machen, welche Bedeutung die Objekte bis heute in Kenia aber auch für Mitglieder der kenianischen Diaspora in Deutschland haben.

Neben den kenianischen Objekten spielen die künstlerischen Arbeiten der am Gesamtprojekt maßgeblich beteiligten beiden Künstler*innenkollektive „The Nest“ und „SHIFT", eine wichtige Rolle.

Für das kenianische Kollektiv „The Nest“, haben Jim Chuchu und Njoki Ngumi Auszüge aus der Objektdatenbank visualisiert, um den unglaublichen Umfang der gesammelten Daten und die Masse der über 32.000 Objekte deutlich zu machen, die sich in den Institutionen außerhalb Kenias befinden. Ein endlos scheinendes, fortlaufendes Band aus Objektlabels "umschlingt" das RJM von außen und setzt sich bis in die Ausstellungräume fort. Simon Rittmeier, Teil des Kollektivs SHIFT, untersucht mit der Arbeit „Takeover“ in Kollaboration mit dem Musiker Richard Ojijo sowie gemeinsam mit Sam Hopkins in „Topography of Loss“ das Museum als sich im Prozess der Dekolonisierung befindende Institution.

Sam Hopkins und Marian Nur Goni vom internationalen „SHIFT" Kollektiv präsentieren in der Ausstellung unter anderem eine Soundinstallation zu den vielfältigen Geschichten der sogenannten „Man Eaters of Tsavo“. Den beiden legendären menschenfressenden Löwen war es um die Jahrhundertwende gelungen, die gesamte britische imperiale Maschinerie in Ostafrika zu blockieren. Heute sind die beiden ausgestopften Löwen  in Chicago ausgestellt. Für viele Kenianer*innen zählen die beiden Löwen zu den National Treasures, die nach Kenia zurückgeführt werden müssen.

 

Beteiligte Künstler*innen und Wissenschaftler*innen

Jim Chuchu, Julia Friedel, Njeri Gachihi, Frauke Gathof,

Clara Himmelheber, Sam Hopkins, Lydia Nafula, Leonie

Neumann, Njoki Ngumi, Marian Nur Goni, Philemon

Nyamanga, George Juma Ondeng’, Richard Ojijo, Simon Rittmeier, mit

Unterstützung von Leonie Chima Emeka, Niklas Obermann

und Jane Pauline Waithera

 

Ausstellungsflyer

Eröffnungsvideo

Weitere Informationen zum Projekt unter www.inventoriesprogramme.org oder https://www.inventoriesprogramme.rg/exhibition

 

Das „International Inventories Programme“ ist ein Projekt des Goethe-Instituts, der National Museums of Kenya (NMK) in Nairobi, des Rautenstrauch-Joest-Museums (RJM) in Köln, des Weltkulturen Museums (WKM) in Frankfurt am Main und der Künstler*innenkollektive The Nest (Kenia) und SHIFT (Deutschland/Frankreich). Das Ausstellungsprojekt „Invisible Inventories“ wird von der Kulturstiftung des Bundes gefördert.